< PreviousViele Bäume machen keinen Wald Wer an Schweden denkt, stellt sich endlose Wälder vor, unberührte Natur. Die Realität sieht anders aus: Zwar ist Schweden tatsächlich zu einem großen Teil von Wald bedeckt, unberührt ist daran jedoch fast nichts mehr. Über 60 Prozent der Wälder wurden seit den 1950er-Jahren kahlgeschlagen, heute handelt es sich bei den meisten Wäldern um intensiv genutzte Forste. Die letzten natürlichen alten Wälder befinden sich vor allem im Norden des Landes – und auch diese sind akut bedroht. Das gefährdet nicht nur zahlreiche Arten, sondern auch die traditionelle Lebensweise der indigenen Sámi. Denn deren Rentiere brauchen die Flechten, die in solch alten Wäldern wachsen, um über die langen Winter zu kommen. Aber es regt sich Widerstand: Seit 2021 unterstützt Greenpeace Schweden Sámi-Rentierkooperativen in ihrem Widerstand gegen die zerstörerischen Prakti- ken der Forstindustrie und bei Verhandlungen mit dem staatlichen Forstunternehmen Sveaskog. Wie wichtig das ist, hat der Erfolg in der Sámi-Gemeinde Muonio gezeigt: Nach anhaltenden Greenpeace-Protesten stellte Sveaskog dort im August 2021 alle Aktivitäten ein und nahm Verhandlungen mit den Sámi auf. Dieses Jahr kam es zur Unterzeichnung einer Vereinbarung über eine behutsamere Nutzung der Wälder in Ein- klang mit den Bedürfnissen der Sámi. Proteste zeigen Wirkung Mit Unterstützung der Umweltstiftung geht es nun darum, weitere Sámi-Gemeinden zu stärken und eine schlagkräftige Bewegung von Waldschützer:in- nen aufzubauen, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen die Zerstörung der wertvollen alten Wälder verhindern. Zusammen mit der Graswurzelinitiative Skogsupproret (Forest Rebellion) führt Greenpeace Schweden seit diesem Jahr Trainings zu gewalt- freien Protestaktionen durch, bietet Medientrainings an, hilft beim Aufbau von Strukturen. Das Interesse ist riesig: Während einer Infotour durch acht Städte Nordschwedens meldeten sich 120 Interessierte, die mehr über friedlichen zivilen Widerstand lernen und für den Schutz ihrer Wälder aktiv werden wollen; über Online-Vorträge und einen eigenen Facebook- und Youtube-Kanal waren es sogar 400 Menschen. Ziel ist der Aufbau lokaler Gruppen, die schnell reagieren und Protestaktionen organisieren können – und den letzten alten Wäldern im Land der Sámi eine wirkungs- volle Stimme geben. umweltstiftung-greenpeace.de/waldschutz-schweden Den Wald und die Rechte der Sámi schützen: Greenpeace- Aktivist:innen protestieren 2022 im schwedischen Muonio gegen Waldzerstörung und legen ein Banner in einem traditionellen Rentierpferch aus. Waldschutz Schweden In Schweden drohen die letzten natürlichen Wälder durch Holzeinschlag und Rohstoffabbau verloren zu gehen – ein dramatischer Verlust auch für die indi genen Sámi, die für ihre traditionelle Rentier- zucht auf diese angewiesen sind. Greenpeace Schweden unter stützt den Aufbau eines Protest- netzwerks, um die Wälder zu schützen. Bildergalerie öffnen Lapplands letzte Urwälder 10 Es ist eine Generationenaufgabe, die wir 2020 mit unserem Partner Bergwaldprojekt e.V. angegangen sind: In Thüringen zeigen wir, wie aus einem Fichtenforst ein arten- reicher Mischwald entsteht – und wie eine naturnahe zukunftsfä- hige Nutzung aussehen kann. Zur Nachahmung empfohlen! Das Ideal bunter Vielfalt ist noch „Zukunftswaldmusik“, doch wer das Gebiet aufmerksam erwan- dert, entdeckt bereits viele positive Veränderungen. So wachsen auf Lichtungen neuerdings hunderte Trauben eichen und Bergahorne, und unter Fichten haben Freiwil- lige den Boden von Grasfilz und Nadelstreu befreit und zwölf Kilo Bucheckern verteilt. Auch Weiß- tannen sollen die Gesellschaft aufmischen, eine Aufgabe auch für die Freiwilligen aus diversen Greenpeace-Gruppen, die im April anpackten. Bei Wind und Schnee pflanzten sie sich warm: Loch hacken, Setzling rein, Erde drum- herum und gut festdrücken. Dann wurde liebevoll „gepuschelt“, jeder Haupttrieb zum Schutz vor Wild- verbiss mit Schafwolle umwickelt. Das punktuelle Säen und Pflan- zen standortheimischer Baumarten ist sinnvoll, da diese es im Fichten- Neues aus dem Zukunftswald Mit unserem Zukunftswald Unterschönau wollen wir die Waldwende in Deutsch land voranbringen. Auch im dritten Jahr unseres Leucht turmprojekts waren wieder Forschende und viele Freiwillige im „Waldlabor“ aktiv. Greenpeace-Ehren- amtliche packten mit an. einerlei schwer haben, sich von allein anzusiedeln. Es ist also eine Form von behutsamer Entwick- lungshilfe, die wir hier leisten. Waldbewohnern auf der Spur Gerade in der Anfangsphase gilt es, unseren Wald genau zu erkun- den. Nur so können wir den Erfolg verschiedener Maßnahmen mes- sen. Der großen Inventur zum Auf takt folgen nun speziellere Forschungsprojekte. Nach dem Fledermausmonitoring 2022 wur- den dieses Jahr von einer Biologin die Brutvögel erfasst: Unter den 45 dokumentierten Arten sind mit Waldschnepfe und Grauspecht auch zwei Rote-Liste-Arten. Auch eine Wildkatze schleicht umher – erstaunlich, sie braucht normalerweise strukturreiche Laub wälder. Um den Ort für die gefährdete Art auf zuwerten, hat das Bergwald- projekt an Wald- rän dern Büsche ge pflanzt und Rei- sig angehäuft. Tolles Mäusequartier, super Kat- zenrevier! Für 2024 ist eine Bio- top-Kartierung geplant: Welche Kleinlebensräume (wie Baumhöh- len, Totholz) gibt es schon, und was können wir tun, um vielen weiteren Arten eine Heimat zu bieten? Angesichts der Klimakrise be- schäftigt uns zudem das Thema Wasser. Durch die Hanglage fließt über Forstwege viel Regenwasser ab, das den Bäumen später fehlt. Eine Feldstudie klärte bereits, wie sich der Niederschlag im Wald verteilt. Als nächstes arbeiten wir daran, das kostbare Nass besser in der Fläche zu halten. umweltstiftung-greenpeace.de/ zukunftswald Waldwende in Deutschland Beherzt ans Werk: Bei einer Greenpeace- Projektwoche werden junge Weißtannen gepflanzt. Bildergalerie öffnen Umweltstiftung Greenpeace Jahresrundbrief 2023 11Die Stiftungszahlen 2022 Mit dem Krieg in der Ukraine brachen 2022 schwie- rige und turbulente Zeiten an. Eine hohe Inflation und die Energiekrise ließen Preise steigen und sorgten für eine zunehmende Verunsicherung. Trotzdem ziehen wir insgesamt eine positive Bilanz – auch dank Ihnen! 2022 zählte unsere Gemeinschaft über 1.200 engagierte Stifter:innen! Mithilfe ihrer Zustiftungen und den Erbschaften wuchs das Stiftungskapital um 2,3 Millionen Euro auf insgesamt 33,5 Millionen Euro. Dieses Geld bildet die Basis für unser Engagement im Umweltschutz. Eine bedeutende Rolle spielen auch die Stifterdar- lehen: Sie stiegen um knapp 2 Millionen Euro. Dieses 33.493.000 Euro Stiftungskapital Einnahmen Stiftungskapital §Zustiftungen 66 % §Erbschaften 34 % 2.337.000 Euro Bleibt stets unangetastet! Ausgaben §Unsere Projekte 68 % §Ausgaben für Stiftungsmanagement 32 % 2.003.000 Euro 1.218 Stifterinnen und Stifter, davon 88 neue in 2022 Neue Darlehen 1.995.000 Euro Darlehen insgesamt 21.947.000 Euro Einnahmen zur zeitnahen Verwendung §Spenden 38 % § Zinsen/Erträge aus Stiftungskapital und Darlehen 46 % (inklusive vorsorglicher Abwertungen) §Entnahmen aus Rücklagen für Projekte 16 % 2.041.000 Euro Geld investieren wir nach den gleichen Prinzipien wie unser Stiftungskapital: nachhaltig und gemeinwohl- orientiert. Unsere Projekte, aber auch alle Ausgaben, die den Betrieb der Stiftung möglich machen, werden mit den Erträgen aus unserem Stiftungskapital und den Stifterdarlehen sowie mithilfe von Spenden finanziert. Auch bei unseren Projekten zeichnete sich 2022 nach den Einschränkungen der Pandemie eine erfreu- liche Trendwende ab. So konnten unsere Partner:in- nen etliche der geplanten Aktivitäten nachholen, und gleichzeitig kamen neue Vorhaben hinzu. Für die Verwirklichung des Satzungszwecks durch Projekte konnten wir 1,4 Millionen Euro einsetzen – eine posi- tive Entwicklung, über die wir uns sehr freuen! Die Bilanz 2022 im Detail finden Sie unter: umweltstiftung-greenpeace.de/stiftung/bilanz 12 Regen ist Leben! Was tun, wenn immer weniger fällt? Das lernen tansanische Bäuerinnen und Bauern in „Klima-Feldschulen“. Unterstützt von uns, geht das agrarökologische Bildungspro- jekt von SMECAO jetzt in zwei Dörfern weiter. In der Region Kilimandscharo in Tansania leben die meisten Menschen von kleinbäuerlichem Regenfeldbau. Wie viel sie ern- ten, essen und verkaufen können, hängt vom „Segen von oben“ ab – und der wird infolge der Klima krise spärlicher. In manchen Jahren fällt so wenig vom Himmel, dass verbreitet angebaute Nutzpflan- zen wie Mais und Reis aufhö- ren zu wachsen. Die Entwaldung trocknet das Land zusätzlich aus. Viel Wald wurde bereits in Äcker umgewandelt, um die zuneh- mende Bevölkerung zu ernähren. Durch Miss ernten steigt der Druck auf die restlichen Wälder – auch weil Menschen notgedrungen mehr Holzkohle produzieren und verkaufen, um über die Runden zu kommen. Deshalb engagiert sich die Organisation SMECAO für Lösun- gen, die wirtschaftlich helfen und zugleich die Umwelt und Artenviel- falt schützen: In Klima-Feldschulen lernen Landwirt:innen in Theorie und Praxis, ihren Anbau klimaresi- lient und nachhaltig umzustellen. Die Agrarökologie-Expert:innen von SMECAO erläutern etwa die Mit BioAnbau der Klimakrise trotzen ÖkoLandwirtschaft in Tansania Vorteile von Mischkulturen und Fruchtwechseln und empfehlen Bio-Pflanzenschutz wie Neem- blätter, Asche und Kuh-Urin. Zudem werden den Gemeinden lokale Wetterdaten und -progno- sen zugänglich gemacht – wichtig, um den Anbau optimal zu planen. Mehr ernten trotz Dürre Unterstützt von der Umweltstif- tung profitierten im Lehrgang 2021/2022 insgesamt 240 Teil- nehmende mit ihren Familien und Dorfgemeinschaften von dem Pro- gramm. Zum Beispiel Familie Lus- hino aus Kisiwani: Neben diversem Gemüse bauen Esther und John auf ihren 0,9 Hektar Land auch Sonnenblumen an – eine dürre- resistente Pflanze, die SMECAO daher allen ans Herz legt. Ange- regt durch das Training, düngten sie mit Kompost und probierten die „Tied ridges“-Praktik aus: Die Pflanzen wachsen auf Dämmen, in Furchen dazwischen sammelt sich das Regenwasser, anstatt zu verdunsten oder die Erde wegzu- schwemmen. „14 Tage nach dem Regen war das Feld immer noch feucht“, freute sich Esther. „Und es ist toll, dass wir keine Pestizide und Kunstdünger mehr brauchen, das spart auch Kosten.“ Im Vergleich zum Vorjahr haben die Lushinos ihre Ernte fast verdreifacht. Vom Erlös des Sonnenblumenöls konn- ten sie sogar etwas für die Ausbil- dung ihrer Kinder zurücklegen. Nur eine von vielen Erfolgs- geschichten, die uns überzeugt haben, das Projekt ein zweites Mal zu fördern. Im September startete der neue Durchgang: 480 Bewoh- ner:innen der Dörfer Kizungo und Minyala werden ihren Ackerbau fit für die Zukunft machen und das wertvolle Wissen mit vielen Mitmenschen teilen. umweltstiftung-greenpeace.de/ projekte/smecao Ein SMECAO-Mitarbeiter stellt das agrarökologische Projekt in einem Dorf vor. Nach Zustimmung der Gemeinschaft kann die Klima-Feldschule dort starten. Umweltstiftung Greenpeace Jahresrundbrief 2023 13Hoffnung für die Kids for Forests Ende Mai 2023 erreichten uns erschütternde Nach- richten: Das russische Justizministerium hatte Greenpeace auf seine offizielle Liste der „unerwünsch- ten Organisationen“ gesetzt. Nach über 30 Jahren musste Greenpeace Russland seine wichtige Arbeit mit sofortiger Wirkung einstellen. Damit endete auch das Projekt Kids for Forests, das die Umweltstiftung Greenpeace fast 20 Jahre lang unterstützt hat. Wir sind noch immer bestürzt über diese dramatische Entwicklung für den Umweltschutz und die Zivilge- sellschaft in Russland. Unsere Gedanken sind bei den ehemaligen Kolleg:innen. Doch inzwischen gibt es Hoffnung: Die Pflanzun- gen im Ugra-Nationalpark gehen weiter! 2019 hatte das Kids-for-Forests-Team hier, in der Region Kaluga, 200 Kilometer südwestlich von Moskau, ein neues Aufforstungsprojekt ins Leben gerufen – als wichti- ges Vorbild auch für andere Regionen. Freiwillige der vergangenen Jahre setzen die Arbeit nun in Eigenini- tiative fort. Im Oktober organisierten sie eine beein- druckende Pflanzaktion mit fast 100 Teilnehmenden. 750 der in den Jahren zuvor gezogenen Setzlinge von Eiche, Ulme oder Ahorn fanden so doch noch ihren Weg in den Boden. Als Greenpeace-Organisa- tion ist es uns aktuell nicht möglich, das Projekt wei- ter zu unterstützen. Umso mehr freuen wir uns, dass die Idee, brachliegende landwirtschaftliche Flächen wieder in Wälder zu verwandeln, trotz allem weiter Schule macht. umweltstiftung-greenpeace.de/kids-for-forests Aufforstung in Russland Meldungen und Tipps Erneuerbare Energien oder grüner Kolonialismus? Goliathwatch lädt am 25. Januar 2024 um 19 Uhr zu einem gemeinsamen Abend rund um die Frage „Wasserstoff – noch schlimmer als fossile Brennstoffe?“ mit Erfolgsbuchautorin Kathrin Hartmann ein. Sie können live vor Ort oder digital dabei sein. goliathwatch.de SOS Karpaten Die einzigartigen Wälder der Karpaten sind von Abholzung akut bedroht. Sie brauchen dringend einen starken, länderübergreifenden Schutzplan auf EU-Ebene. Dafür brauchen wir Ihre Stimme. Unterzeichnen Sie die Petition zum Schutz der Karpaten: savecarpathians.org Von 2002 bis 2023 betreute Greenpeace Russland das Projekt Kids for Forests. Nach der Schließung des Büros setzen Freiwillige die Aufforstungsarbeit nun in Eigenregie fort. Freiwillige voran! Sie haben Lust, sich bei einem Freiwilligeneinsatz im Zukunftswald Unterschönau zu engagieren oder bei einem passenden Naturschutzprojekt vor Ihrer Haustür? Dann schauen Sie doch mal ins neue Programm des Bergwaldprojekts: bergwaldprojekt.de/mitmachen Nutztier des Jahres 2024 Seit 1984 wählt die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) jährlich heimische Nutztiere aus, um auf deren Bedrohung aufmerksam zu machen und bessere Bedingungen für den Erhalt zu erwirken. Die „Gefährdeten Nutz- tierrassen des Jahres 2024“ sind das Angora-, Lux- und Marderkaninchen. g-e-h.de Bildergalerie öffnen Gegen die ganz Großen Goliathwatch Wort „Klimawandel“ eintippt. Drei Protestaktionen in Hamburg, eine große Pressekonferenz in Berlin und ein direktes Treffen mit Goo- gle-Verantwortlichen haben am Ende zu diesem Ergebnis geführt. Und auch gegen Facebook war Goliathwatch erfolgreich: Als ihre Fanpage (Infoseite) wegen angeb- licher „betrügerischer und irrefüh- render Informationen“ gesperrt worden war, setzte sich die NGO am Ende vor Gericht durch und darf die Seite weiter betreiben. „Facebook wollte uns mundtot machen, weil wir uns für faire digi- tale Wahlwerbung und eine schär- fere Kartellpolitik eingesetzt haben. Doch das lassen wir nicht zu“, sagt Thomas Dürmeier. Neben den politischen Kam- pagnen spielt Aufklärungs- und Bildungsarbeit bei Goliathwatch eine zentrale Rolle. Mit Dossiers, Niemals würde Thomas Dürmeier einen Stein gegen einen Men- schen schleudern – auch nicht gegen einen übel agierenden Konzernchef. Denn der promo- vierte Volkswirt und Gründer von Goliathwatch e. V. ist Pazifist. Aber sich strategisch schlau und furcht- los mit den ganz Großen anlegen, das macht die kleine Nichtre- gierungsorganisation (NGO) aus Hamburg seit 2017, genauso wie David gegen Goliath. Die Macht großer Konzerne beschränken „Stop #HateSearch“ – unter diesem Motto hat der gemeinnützige Ver- ein in seiner ersten Kampagne den Konzern Google dazu gebracht, seine Suchfunktion zu überarbei- ten. Nun schlägt Google nicht als Erstes „Lüge“ und „Mythos“ oder „Klima-Gretel“ vor, wenn man das Vorträgen, Veranstaltungen und auf Rundgängen zum Beispiel in der Hamburger Hafencity weist der Verein auf die Marktmacht großer Unternehmen im globa- len Wirtschaftsgefüge hin. „Kon- zerne zerstören derzeit das Wirt- schaftssystem, die Natur und die Gesellschaft“, ist Thomas Dürmeier überzeugt. „Um die Bevölkerung darüber zu informieren und sie zum Handeln zu motivieren, arbei- ten wir bereits mit Organisationen wie Inkota, Brot für die Welt oder Greenpeace im Cora-Netzwerk zusammen.“ Die Umweltstiftung Greenpeace fördert den gemeinnützigen Ver- ein Goliathwatch, der sich für die Förderung der Demokratie und eine dem Menschen und der Natur dienende Wirtschaft einsetzt, über einen Zeitraum von vier Jahren. goliathwatch.de Der Verein Goliathwatch fürchtet sich nicht vor der Macht großer Konzerne. Er setzt sich für ein gerechteres Wirtschaftssystem ein, in dem die Demokratie geachtet und der Raubbau an der Natur gestoppt wird. Sommer 2021: Aktion in Berlin für faire digitale Wahlwerbung und mehr Transparenz Video ansehen Umweltstiftung Greenpeace Jahresrundbrief 2023 15Am wichtigsten waren ihm die Aktionen in den Dörfern. Mehr- mals reiste Pfadfinder Padding- ton Johannes mit seinem Team in abgelegene Gegenden seines Hei- matlands Simbabwe. „Wir erklären den Menschen, wie Sonnenenergie funktioniert, auf einfache Weise, denn die meisten können nicht lesen und schreiben“, erzählt er. In Absprache mit der Dorfgemein- schaft installieren sie anschließend Solarmodule auf einem zentralen Gebäude. Für Gemeinden ohne Stromanschluss ein riesiger Unter- schied: „Ein Modul reicht, um vier bis fünf Räume zu beleuchten. Kin- der können abends Hausaufgaben machen, Lehrer können Laptops nutzen und drucken, die Menschen können ihre Telefone laden.“ Paddington Johannes ist einer von über hundert Solarbotschaf- ter:innen aus allen Teilen der Welt, die die Schweizer NGO Solafrica seit 2014 ausgebildet hat. Die Idee des von der Umweltstiftung unterstützten Projekts: die Pfadfin- derbewegung zu nutzen, um junge Menschen für Solarenergie zu begeistern. Dazu kooperiert Sol- africa mit der Weltorganisation der Pfadfinderbewegung (WOSM) mit 57 Millionen Mitgliedern. In einem knapp zweiwöchigen Training ler- nen Pfadfinderleitende Theorie und Praxis der Solarenergie – und geben ihr Wissen anschließend weiter. Wie Paddington Johannes: 2017 nahm er am Training in der Schweiz teil. Zurück in Simbabwe, lud er selbst Pfadfinder:innen aus dem ganzen Land ein und schulte sie; daraus entstand ein Netzwerk mit heute über 120 Mitgliedern. Sie führten Workshops bei Pfad- findertreffen, in Schulen und Uni- versitäten durch, sie nahmen mit Solarkochern an einem Kochwett- bewerb teil, bauten Solarmodule auf Schulen, Waisenhäusern und Botschafter für Solarenergie Die Vorteile von Solar- energie in der Praxis: Paddington Johannes und weitere Scouts installieren eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach einer Schule im ländlichen Simbabwe. Scouts go Solar Gemeindezentren. Die Einstellung zu Solarenergie habe das sehr ver- ändert, so der Solarbotschafter. „Es gab viele Lügen in Simbabwe über Solarenergie. Dass sie super teuer sei, man große Anlagen brauche.“ Jetzt würden Dorfgemeinschaf- ten auf Solarmodule sparen, junge Menschen gründeten Start-ups zu Technik, Beratung und Förderung. Die Trainings für die Solarbot- schafter:innen fanden 2023 nicht mehr in der Schweiz, sondern regio nal statt, in Bolivien und in Kenia. Für 2024 ist ein Training in Asien geplant. Das Ziel: die Bewe- gung noch stärker vor Ort zu ver- ankern. Paddington Johannes war 2023 in Kenia wieder dabei, jetzt als Trainer. Um, wie er sagt, künftig Länder in ganz Afrika und darüber hinaus bei der Nutzung von Solar- energie zu unterstützen. solafrica.ch/projekte/scouts-go-solar- international Sonnenenergie wird immer noch viel zu wenig genutzt – obwohl sie gerade in wirtschaftlich benachteiligten Ländern günstig und klimafreundlich Strom liefern kann. Das Projekt Scouts go Solar bildet Pfadfinderleitende weltweit zu Solarbotschafter:innen aus, um das zu ändern. Mit Erfolg, wie das Beispiel des Solarbotschafters Paddington Johannes zeigt. Video ansehen 16 Was tut deine Uni gegen die Klimakrise? Das Klima ändert sich – deine Uni auch? Die Fragen auf Plaka- ten und Postkarten luden ein zur ClimateCON, einer bundesweiten Konferenz zur Frage, wie das Thema Klimaschutz an den Hochschulen stärker verankert werden kann. Über 420 Hochschulen gibt es in Deutschland, fast drei Millionen Studierende. Wissen spielt eine ent- scheidende Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise. Aber die Hochschulen schöpfen ihr gesellschaftliches Potenzial nicht aus – das fanden klima engagierte Stu- dierende der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und der Johannes Gutenberg-Universi- tät Mainz. Ihre Idee: eine studentische Konferenz, um das zu ändern. Lernen mit Herz, Kopf und Hand Im Mai 2023 kamen über 200 Studierende, Uni-Mit- arbeitende und Gäste unter dem Motto „Hochschule Was tut deine Hochschule gegen die Klimakrise? Aufstehen für klima- gerechte Hochschulen – Studierende bei der Konferenz ClimateCON im Mai 2023 ClimateCON Über 200 Studierende kamen an der Universität Mainz mit einem gemeinsamen Ziel zusammen: den Schutz des Klimas an deutschen Hochschulen ganz oben auf die Agenda zu setzen. neu denken“ für drei Tage in Mainz zusammen. „Ler- nen mit Herz, Kopf und Hand“ war das Prinzip. Dabei ging es vor allem darum, die Ohnmacht angesichts der vielen Krisen zu überwinden und Handlungsmög- lichkeiten aufzuzeigen. Erfahrene Trainer:innen, unter anderem vom Bildungsteam des Greenpeace e.V., zeigten Strategien auf, wie Transformationen gelingen können. Erfolgreiche Initiativen teilten ihre Erfahrun- gen – etwa, wie eine Handvoll Studierende an der Humboldt-Universität es schaffte, die Ausarbeitung eines Klimaschutzkonzepts anzustoßen. Und beim Markt der Möglichkeiten konnten sich alle direkt in Initiativen und Projekten einbringen. Ohnmacht überwinden – und direkt aktiv werden Dieses Konzept überzeugte auch die Umweltstiftung, die Konferenz zu unterstützen. Fast alle Teilnehmen- den (95 Prozent) sagten in einer abschließenden Befragung, dass die ClimateCON sie motiviert habe, sich für eine nachhaltigere Hochschule einzusetzen – und sie nun eine Idee hätten, wie das funktionieren könne. Sie gingen begeistert nach Hause: „Wir haben als Studierende super viel Potenzial“, sagt die Studen- tin und Fridays for Future-Aktivistin Melina Forêt. „Die Konferenz hat gezeigt, dass wir gemeinsam Einfluss auf die Uni nehmen können!“ Die ClimateCON in Mainz soll nicht die einzige gewesen sein – im Idealfall sollen künftig jährlich Studierende in einem solchen Rahmen zusammen- kommen, um die Transformation der Hochschulen voranzubringen. climatecon.de Video ansehen Umweltstiftung Greenpeace Jahresrundbrief 2023 17Christoph, ihr untersucht, welche Folgen Gentechnik auf Landwirtschaft, Mensch und Natur haben kann. Gibt es dazu bisher keine Forschung? Die EU verlangt eine Risikoprü- fung, bevor gentechnikveränderte Pflanzen zugelassen werden. Aber die bezieht sich nur auf die ein- zelne Pflanze. Viele Risiken lassen sich auf dieser Ebene nicht erfas- sen. Was passiert, wenn sich zwei veränderte Pflanzen kreuzen und neue Eigenschaften entwickeln? Welche Auswirkungen hat es auf Ökosysteme, wenn viele solcher Pflanzen eingebracht werden? Unser Projekt ist, soweit wir wis- sen, das einzige, das solche Fragen gezielt untersucht. Wie unterscheidet sich die Neue Gentechnik von früheren Ansätzen? Die neuen Verfahren sind geziel- ter. Sie können die Eigenschaften von Pflanzen radikal verändern, ohne dass Gene anderer Arten eingebracht werden, etwa indem Stücke der DNA herausgeschnitten werden. Auch dabei handelt es sich um einen drastischen Eingriff, und es entstehen Eigenschaften, die auf natürlichem Weg nicht entste- hen könnten. Gleichzeitig werden jetzt viel mehr veränderte Arten in die Umwelt gebracht. Welche Fol- gen das auf die Ökosysteme hat, müsste im Sinne des Vorsorge- prinzips gründlich untersucht wer- den. Doch daran haben Akteure, die hoffen, mit den neuen Pflan- zensorten viel Geld zu machen, kein Interesse. Befürworter:innen behaupten stattdessen, die Neue Gentech- nik gleiche natürlichen Prozes- sen – und solle deshalb weitge- hend freigegeben werden. Wir erleben derzeit einen drasti- schen Wechsel in der Politik. Lange gab es in Europa Vorbehalte gegen Gentechnik, und der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen hat sich nicht durchgesetzt. Jetzt sieht der Vorschlag der EU-Kom- mission für die neue EU-Richtlinie vor, die Risikoprüfung für Pflanzen aus der Neuen Gentechnik in den meisten Fällen zu streichen. Gerade wenden wir uns gezielt an Abge- ordnete des Europäischen Parla- ments, um sie über systemische Risiken von Gentechnik zu infor- mieren. Indem wir ihnen fundierte Informationen liefern, hoffen wir, eine weitgehende Deregulierung der Gentechnik in Europa noch verhindern zu können. Die EU argumentiert, dass die Neue Gentechnik zur Nachhal- tigkeit beitragen kann. Es ist eines der Ziele des Projekts, genau das zu überprüfen: ob gen- technisch veränderte Pflanzen tatsächlich zur Nachhaltigkeit bei- tragen können. Denn die EU plant ein Label für nachhaltige Land- wirtschaft, das auch diese Pflan- zen erhalten könnten. So, wie das derzeit geplant ist, ist das unserer Meinung nach allerdings Verbrau- chertäuschung, weil es einzig auf den Angaben der Hersteller beruht und nicht unabhängig überprüft wird. Was die Pflanze laut Her- steller machen soll, ist oft etwas ganz anderes als das, was sie, in der Landwirtschaft angewandt, tatsächlich tut. testbiotech.org/technikfolgen Riskante Freisetzung Die EU möchte Pflanzen aus Neuer Gentechnik weitgehend freigeben – doch unabhängige Forschung dazu, welche Risiken das birgt, gibt es kaum. Dr. Christoph Then ist Direktor von Testbiotech, einem der wenigen von der Industrie unabhängigen Institute für Folgenabschätzung in der Biotechnologie. Die Umweltstiftung finanziert dort ein dreijähriges Forschungsprojekt, das mögliche Auswirkungen von Gentechnik auf Ökoysteme untersucht – und ob die Neue Gentechnik tatsächlich, wie Befürworter:innen behaupten, für mehr Nachhaltigkeit sorgen kann. Das Interview Fortschritt oder Risiko? Ein Forschungs- projekt untersucht, welche Folgen Pflanzen aus Neuer Gentechnik haben. Neue Gentechnik Dr. Christoph Then Mehr Infos hier 18 Es ist kein Zufall, dass die Veröffentlichung der Web- site survivors.ippnw.de auf den 29. August 2023 – den Internationalen Tag gegen Atomtests – fällt. Hier kommen Menschen zu Wort, die die verheerenden Auswirkungen der nuklearen Zerstörung am eigenen Leib erfahren haben. Es sind Geschichten wie die von Méitaka Kendall-Lekka von den Marshallinseln, die bei einer Schwangerenvorsorgeuntersuchung erfährt, dass sie an einem Unterleibskrebs erkrankt ist. Sie besiegt den Krebs, aber verliert das Kind – und muss feststellen, dass zahlreiche Frauen ebenfalls betroffen sind. Sie alle sind auf dem Likiep-Atoll aufgewachsen und damit in direkter Nachbarschaft zum Bikini-Atoll, wo am 1. März 1954 der größte US-Atomwaffentest durchgeführt wurde – mit der 1300-fachen Spreng- kraft der Hiroshimabombe. Die verheerenden Folgen wie Fehlbildungen und strahlenbedingte Erkrankungen sind noch heute in der dritten Generation zu spüren. Neben Menschen wie Méitaka kommen auf der Internetseite auch die Hibakushas, Überlebende von Hiroshima und Nagasaki, sowie Leidtragende des Uranabbaus oder von Atomunfällen zu Wort. „Unsere Kampagne soll für einen Paradigmenwechsel in der Debatte über Atomwaffen sorgen: von Atomwaffen als ‚strategisches Instrument der Sicherheit‘ hin zu einer realistischen Betrachtung ihrer humanitären Auswir- kungen und Umweltfolgen schon heute“, erläutert Inga Blum von den IPPNW. „Wir wollen die Aufmerk- samkeit darüber hinaus auf den Rassismus und die Tatsache lenken, dass die meisten Atomwaffentests in ehemaligen Kolonien oder in Gebieten mit ethni- schen Minderheiten und indigenen Völkern durchge- führt wurden und Frauen und Kinder überproportional betroffen sind.“ Der von der Umweltstiftung geförderte Report „Die katastrophalen Folgen der Atomtests“ greift diese The- men eindrucksvoll auf. Geplant sind zudem Informa- tionsveranstaltungen und politische Lobbygespräche. Die Zusammenarbeit mit Friedens- und Umweltorga- nisationen wie Greenpeace soll intensiviert werden: für eine sicherere Welt ohne Atomwaffen! survivors.ippnw.de Eine Welt ohne Atomwaffen To Survive is to Resist Atomwaffen, viele davon auf höchster Alarmstufe, stellen eine ständige Gefahr für das globale Überleben dar. Das wird uns in Zeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und des gerade entflammten Kriegs in Nahost schmerzlich bewusst. Mit der Kampagne „To Survive is to Resist“ der deutschen Sektion der Internationalen Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) erhalten Überlebende von Atomwaffeneinsätzen und -unfällen eine Stimme, um ihren Forderungen nach Entschädigungen und nach atomarer Abrüstung Nachdruck zu verleihen. US-Atombombentest „Baker“ 1946, Teil der Operation Crossroads auf dem Bikini-Atoll im Pazifik Zum IPPNW-Report Umweltstiftung Greenpeace Jahresrundbrief 2023 19Next >