Märchenwald: Forschungen belegen sagenhafte Artenvielfalt

Der Märchenwald Einbeck ist ein Hotspot der Artenvielfalt. Um seinen einmaligen Wert herauszustellen und seinen Schutzstatus zu festigen, finanzierte die Umweltstiftung ab 2013 mehrere Arten-Inventuren sowie Öffentlichkeitsarbeit – von der Website bis zu einem virtuell geführten Rundweg.

Ob hier Elfen nachts auf Lichtungen tanzen und Zwerge in moosgepolsterten Erdhöhlen hausen? Gut vorstellbar. Der Märchenwald im Stadtwald von Einbeck hat seinen Namen verdient, so urig und verwunschen zeigt sich dieses Naturkleinod im niedersächsischen Leine-Weser-Bergland. Weil hier schon seit Jahrzehnten wenig Holz eingeschlagen wurde, ist der Wald reich an charaktervollen Baumriesen, darunter knorrige bis zu 280 Jahre alte Eichen und bis zu 180 Jahre alte Eschen, Hainbuchen und Rotbuchen. Höhlen und Spalten in den Stämmen werden unter anderen von Fledermäusen, Spechten, Eulen und Bienen genutzt; das viele morsche und abgestorbene Holz im Wald ist mit Flechten, Moosen und Pilzen bewachsen, und es wimmelt von Käfern und anderen Insekten.

Eine Gruppe Menschen bei der Kartierung des Märchenwaldes.
Eine Gruppe Menschen bei der Kartierung des Märchenwaldes. Foto © Henning Städtler

Im Mai 2012 wurde das 24 Hektar große Areal der Typen Eichen-Hainbuchenwald und Kalkbuchenwald – 4,5 Prozent des Stadtwalds – per Ratsbeschluss aus der forstlichen Nutzung genommen. Der Märchenwald darf sich nun ungestört entfalten und zum Urwald von morgen werden. Die Ratsentscheidung war jedoch denkbar knapp ausgefallen – der Schutzstatus stand somit auf wackeligen Füßen. Um diesen dauerhaft zu festigen, galt es, Nachweise zum ökologischen Wert des Waldgebiets zu sammeln. Hierzu konnte auch die Umweltstiftung Greenpeace entscheidend beitragen.

Käfererfassungen mit sensationellen Ergebnissen

Anfang 2013 wandte sich der Waldökologe Henning Städtler, der sich mit weiteren lokalen Akteuren für den Schutz des Märchenwalds einsetzt, an die Umweltstiftung. Der Kontakt hatte sich im Rahmen einer Greenpeace-Kampagne zur Bewahrung heimischer Buchenwälder ergeben. Die Umweltstiftung finanzierte daraufhin eine erste Käfererfassung. Denn: „Funde einiger Raritäten, etwa des Schluchtwald-Laufkäfers Carabus irregularis, ließen darauf hoffen, weitere seltene Arten zu finden, die an Alt- und Totholz gebunden sind“, erläutert Städtler. Die Untersuchung übernahm der Biologe Ludger Schmidt. Sage und schreibe 398 verschiedene Käfer konnte er nachweisen, viele von ihnen rar und gefährdet.

Bei einer zweiten Käfererfassung 2017, ebenfalls von der Umweltstiftung Greenpeace finanziert, nahm Dr. Reiner Theunert den Wald noch einmal unter die Lupe: Der Biologe suchte Gräser, Kräuter und Blätter ab, drehte Steine und liegendes Totholz um und siebte Waldboden. Mit Theunerts Funden erhöhte sich die Gesamtzahl auf 503 Käferarten aus 70 Familien: „58 Arten gelten nach der ,Roten Liste‘ in Deutschland als stark gefährdet oder gefährdet. Aus naturschutzfachlicher Sicht ist der Märchenwald damit von landesweiter Bedeutung“, sagt Dr. Reiner Theunert. „Mit dem Buchenmulm-Zwergstutzkäfer Aeletes atomarius wurde auch eine vom Aussterben bedrohte Urwaldreliktart entdeckt. Der unscheinbare Ein-Millimeter-Winzling lebt räuberisch an alten Buchen.“

Pilz-Inventur: 41 Rote-Liste-Arten

Der Märchenwald hat längst den Ruf einer wissenschaftlichen Fundgrube. Inzwischen wurde unter anderem auch die Vielfalt der Flechten und der Falter erforscht. Zudem unterstützte die Umweltstiftung 2018 eine Pilz-Kartierung: Pilze spielen eine wichtige Rolle bei der Humusbildung und bei der Nährstoffaufnahme von Bäumen und Kräutern. Die Untersuchung ergab insgesamt 440 Arten. 41 stehen auf der „Roten Liste“ Niedersachsens, darunter der Klapperschwamm, Hasel-Milchling, Strubbelkopf-Röhrling und das Flaumhaarige Samthäubchen. Allein die bildhaften Namen regen dazu an, in den geheimnisvollen Kosmos der Pilze einzutauchen.

Wie der Wald so die Website: eine reiche Fundgrube

Dies ist auch auf der Märchenwald-Homepage möglich, die bereits 2013 mit Hilfe der Umweltstiftung aufgebaut wurde. Sie ist – so wie der Wald – eine reiche Fundgrube. Interessierte finden hier zum Beispiel Informationen zur Geschichte und zum Schutz des Walds, Fotos und Forschungsberichte sowie Videos der Forscher bei der Arbeit. Auch die Erstellung eines Flyers wurde von der Umweltstiftung ermöglicht, um das Naturparadies bekannter zu machen.

Spaziergang mit virtuellem Guide

Zuletzt finanzierte sie ein Projekt, das noch mehr Menschen in den Wald locken soll, online und offline: Dazu entwickelten die Märchenwald-Akteure einen drei Kilometer langen Rundweg entlang von 15 Wald-Stationen. Diese sind vor Ort markiert, und zu jeder Station liefert ein virtueller Guide spannende Hintergrundinfos. Auf der Seite rundweg.maerchenwald-einbeck.de kann er für unterwegs als mobile Offline-Version heruntergeladen werden. Genauso lässt sich der Rundweg zuhause am PC verfolgen.

Zum Beispiel geht es an der Station 2 bei einer 170-jährigen Eiche um die Nutzungsgeschichte: „Eichen kommen auf diesen Berglandstandorten selten natürlich vor. Sie wurden etwa ab dem Jahr 1500 gepflanzt, da ihre Eicheln für die Schweinemast notwendig waren und das dauerhafte Holz für Fachwerkhäuser gebraucht wurde“, so ein Textauszug. Die Tour führt östlich über das Schutzgebiet hinaus. Im übrigen Stadtwald sind nur einzelne „Habitatbäume“, beispielsweise mit Höhlen und Totholz, mit einem „X“ markiert und vor der Säge sicher. Um sie geht es an Station 6. Das Projekt will auch zum Erhalt dieser wichtigen Biotope beitragen, denn für viele Lebewesen, die eine natürliche Waldentwicklung benötigen, ist der Märchenwald langfristig zu klein.

Die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ sieht vor, bis zum Jahr 2020 zehn Prozent aller Waldflächen der öffentlichen Hand einer natürlichen Waldentwicklung zu überlassen. Der Bund hat dies auf seinen Flächen bereits umgesetzt – ebenfalls die Niedersächsischen Landesforsten. Dies sollte ein Ansporn für die Stadt Einbeck sein, das Märchenwald-Schutzgebiet von jetzt 4,5 auf zehn Prozent des Stadtwalds zu vergrößern. Damit wäre seine sagenhafte Artenvielfalt wohl langfristig gesichert.