Hüter:innen der borealen Wälder: Indigene Rechte in Kanada stärken

Der Raubbau an Kanadas borealen Wäldern heizt die Klimakrise an, bedroht Tierarten wie das Waldkaribu und die Lebensgrundlage indigener Völker. Deshalb haben wir bereits seit 2011 die Kampagnenarbeit von Greenpeace Kanada und seit 2020 – gemeinsam mit der Stiftung Zukunft Jetzt! – zusätzlich Projekte der kanadischen David Suzuki Foundation gefördert: Diese stärken unter anderem indigene Landrechte und unterstützen Gemeinden darin, eigene Schutzgebiete einzurichten und sich gegen Industrieprojekte zu wehren.

Friedlicher Protest von First Nations mit Musik. Foto © Tamara Herman

Die nördlichen Nadelwälder erstrecken sich von Yukon im Westen bis nach Labrador und Neufundland im Osten über die gesamte Landesbreite. Tiere wie Grizzlybär, Elch, Bartkauz und Waldkaribu teilen sich ihre Heimat mit Menschen von mehr als 600 indigenen Völkern. Auch dank ihnen, die seit jeher verantwortungsbewusst mit der Natur umgehen, verfügt Kanada noch heute über riesige intakte Waldgebiete. Doch Jahr für Jahr werden große Flächen borealer Wald abgeholzt oder durch andere industrielle Aktivitäten zerstört. Dazu kommen Waldbrände, die sich infolge der Erderwärmung verschlimmern. Brände und Kahlschläge in den kohlenstoffreichen alten Wäldern wiederum heizen die Klimakrise weiter an. Mit den Wäldern schrumpfen auch die Bestände von Tierarten wie dem Waldkaribu, die auf intakte Ökosysteme angewiesen sind. Und viele indigene Gemeinschaften können ihrer traditionellen Lebensweise nicht mehr nachgehen. Nachdem ihre Vorfahren unterdrückt, in Reservate abgedrängt und zwangsweise assimiliert wurden, sind indigene Gruppen heute weiterhin Kolonialismus, Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt.

Indigen verwaltete Schutzgebiete

1990 von dem Biologen Dr. David Suzuki gegründet, engagiert sich die gemeinnützige David Suzuki Foundation (DSF) für Umwelt, Klima und Artenschutz mit einer Vielfalt an Projekten sowie mit wissenschaftlich fundierter Aufklärungsarbeit – auch zu indigenen Rechten. So unterstützt sie zum Beispiel indigene Gemeinschaften bei der Bewahrung des Landes, das ihre Lebensgrundlage darstellt, sowie bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Und das nicht nur aus ethischen Gründen – für sie sind die First Nations, Inuit und Métis ein Schlüssel zu erfolgreichem Wald- und Klimaschutz. Schließlich verfügen die Ureinwohner:innen Kanadas über einen Jahrtausende alten Erfahrungsschatz in der nachhaltigen Nutzung ihrer traditionellen Territorien.

Die DSF organisiert Workshops und Vernetzungstreffen zum Erfahrungsaustausch indigener Umweltschützer:innen und unterstützt indigene Gemeinden bei der Planung von Naturschutzprojekten, der Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme oder der Einrichtung eigener Schutzgebiete. Sogenannte Indigenous Protected and Conserved Areas (IPCAs) zielen darauf ab, Natur und Artenvielfalt und damit die Grundlage ihrer traditionellen Kultur und Lebensweise zu bewahren. In der Vergangenheit wurden offizielle Schutzgebiete oft ohne Mitsprache indigener Gruppen eingerichtet. Teilweise wurden sie sogar aus den Gebieten vertrieben, wie auch die Beispiele Banff und Jasper Nationalpark zeigen. Diese Art des „kolonialen Naturschutzes“ gehört auf den Prüfstand. Studien zeigen, dass indigen verwaltete Gebiete oft sogar artenreicher sind als staatliche Naturschutzgebiete. Da IPCAs bisher rechtlich nicht bindend sind, plant die DSF aktuell, eine Gesetzesreform anzustoßen, die Prinzipien aus dem kanadischen und indigenen Recht vereint.

„Land back“

2021 veranstaltete die DSF unter dem Titel „Land back“ mehrere Webinare und produzierte eine Video-Serie. Die Filme erklären die Auswirkungen der Kolonisierung Kanadas und rufen zur Rückgabe von Landrechten und mehr Selbstbestimmung für indigene Völker auf. Bis heute gibt es große Wissenslücken beim Thema Landrechte in der kanadischen Bevölkerung. Dabei kann es laut DSF nicht nur Aufgabe der First Nations sein, ihre Rechte einzufordern. Vielmehr ist es an der Zeit, dass auch die Nachfahren „weißer“ Siedler:innen die Verpflichtungen Kanadas gegenüber indigenen Gemeinschaften kennen. Denn bis heute sind die Verträge der Gründerzeit zwischen britischer Krone und First Nations gültig. Darin enthalten ist unter anderem das Recht auf eine traditionelle Lebensweise oder das Recht auf Jagd und Fischfang auf früherem Stammesland.  

Wegweisendes Gerichtsurteil

2021 gab es zwei Erfolge für die First Nations und ihre Verbündeten zu feiern: Der Oberste Gerichtshof von British Columbia bestätigte der Blueberry River First Nation nach jahrelangem Ringen, dass die Provinzregierung ihr Recht auf eine traditionelle Lebensweise bricht. Denn in ihrem rund 4 Millionen Hektar großen angestammten Territorium finden sie kaum noch intakte Natur zum Jagen oder Fischen. Wälder wurden gerodet, Öl- und Gasförderungen vorangetrieben – auf über 80 Prozent des Gebiets stößt man mittlerweile alle 500 Meter auf eine industrielle Aktivität! Doch künftig darf ohne die Zustimmung der First Nation kein Industrieprojekt mehr starten. Ein Durchbruch, auch für indigene Gemeinden aus anderen Regionen, die auf dieses Urteil Bezug nehmen können.

In Ontario verbuchten die Grassy Narrows einen Etappen-Sieg: Eine Bergbaugesellschaft zog ihren Antrag auf Abbaulizenzen in einem von der First Nation ausgewiesenen Naturschutzgebiet zurück. Die Grassy Narrows und DSF hatten zuvor über Protestaktionen und Aufrufe erfolgreich öffentlichen Druck erzeugt. Nächstes Ziel ist, dass die Provinz ihr geschütztes Hoheitsgebiet anerkennt und keine Abholzungs- oder Bergbaulizenzen mehr darin genehmigt. Hierfür ist aktuell ein “Waldstörungs-Atlas” in Arbeit, welcher besonders gefährdete und schützenswerte Areale ausweisen soll.

Ein Nationalsymbol retten

Das Waldkaribu ist nicht nur ein kanadisches Nationalsymbol und ziert die 25-Cent-Münze – es spielt auch in der Kultur, Spiritualität und in der Ernährung der indigenen Völker eine zentrale Rolle. Die Rentierart braucht große, intakte Waldflächen zum Überleben, daher ist sie aus vielen von Raubbau betroffenen Gebieten inzwischen verschwunden und vom Aussterben bedroht. In Zusammenarbeit mit First Nations setzt sich die David Suzuki Foundation für ihre Rettung ein. Noch sind Schutzmaßnahmen meist regional begrenzt – es fehlt eine landesweite Schutzstrategie. Deshalb erarbeitet die DSF jetzt eine nationale Landkarte, die helfen soll, geeignete Karibu-Lebensräume zu identifizieren, wiederherzustellen und sinnvoll durch Korridore zu vernetzen. Eingezeichnet sind unter anderem Bestandszahlen und die Dichte von Störfaktoren.

Aber selbst Schutzgebiete sind nicht frei von Störungen: 2009 entschied die Verwaltung des Jasper Nationalparks erstmals, das Hinterland in Karibu-Habitaten für Wanderer und Skiläufer:innen über die Wintersaison zu schließen. 2021 nun wurde die Sperrung zeitlich und räumlich ausgedehnt. Die DSF und andere Naturschutzverbände hatten sich dafür eingesetzt. Dies erspart den Rentieren, die im nahrungsarmen Winter mit ihrer Energie haushalten müssen, einerseits Stress. Andererseits werden keine Wege für Prädatoren wie Wölfe in den Schnee gespurt. So reichen manchmal kleine Maßnahmen, um die Überlebenschance für dieses symbolträchtige Tier deutlich zu vergrößern.