Felsiges Meeresparadies: ein Schutzgebiet für die kroatische Adria
Die Kvarner Bucht östlich der Halbinsel Istrien ist ein Hotspot der Artenvielfalt – und so soll es bleiben: Deshalb engagiert sich die Organisation MareMundi für ein neues Meeresschutzgebiet. Grundlage hierfür sind Forschungsarbeiten, die wir zum Start des Projekts in 2024 fördern. Projektkoordinator Dr. Rouven Metternich gibt Einblicke.
Während die norditalienische Adria von kilometerlangen Sandstränden gesäumt ist, zeigt sich gegenüber in Kroatien ein ganz anderes Bild: Hier ist die Küste gebirgig und wild zerklüftet, und Inseln aller Größen ragen aus dem türkisblauen Meer. Allein die Kalksteinfelsen bieten unzähligen Tieren und Pflanzen einen Lebensraum. Zum Beispiel brütet in den Steilklippen der Inseln Cres und Plavnik der imposante Gänsegeier. Was unter Wasser los ist, weiß Dr. Rouven Metternich von der Organisation MareMundi zu erzählen – auch aus eigener Erfahrung, der Biologe ist passionierter Freitaucher. Zu den tollsten Spots zählt für ihn eine Schlucht vor Plavnik: „Auf der sonnenexponierten Seite wachsen Algen in allen Farben und Formen. Doch anders als man vermuten könnte, ist die Schattenwand noch bunter, wo statt Pflanzen sessile Tiere leben: Ich bestaunte einen prächtigen Teppich aus gelben Krustenanemonen, durchsetzt von roten, orange- und lilafarbenen Schwämmen und Fächerkorallen.“ In Felsspalten entdeckte er Garnelen und Taschenkrebse; auch Fische hatten sich verkrochen, darunter ein Drachenkopf und ein Conger-Aal.
Hauptbedrohung industrielle Fischerei
Zwar ist die Kvarner Bucht verglichen mit anderen Adriaregionen ein Hotspot der Artenvielfalt, doch inzwischen ebenso übernutzt und verschmutzt. Infolge des Massentourismus in den Sommermonaten erstickt die Bucht in Plastikmüll, und Abwässer fließen noch großteils ungeklärt ins Meer. Lärm durch starken Schiffsverkehr bedroht zum Beispiel Delfine wie den Großen Tümmler. Doch am schädlichsten ist die industrielle Fischerei: „Im Freiwasser schwimmen so beliebte Speisefische wie Doraden und Brassen. Da diese Zone aber schon ziemlich leergefischt ist, wird nun verstärkt Jagd auf am Boden vorkommende Arten wie Petersfisch, Wolfsbarsch oder Knurrhahn gemacht“, berichtet Rouven. Die Grundschleppnetze zerstören ganze Ökosysteme wie üppig bewachsene Riffe, und die Beifangrate ist hoch. Auch viele geschützte Hai- und Rochenarten sind unter den sinnlosen Opfern.
Initiative „MPA 4 Kvarner“
Um die verbliebenen Naturschätze für kommende Generationen zu retten, hat sich das MareMundi-Team um Vereinspräsident Dr. Robert Hofrichter daher Großes vorgenommen: Es will ein Meeresschutzgebiet einrichten, das rund ein Viertel der Kvarner Bucht umfasst. Die Chancen stehen gut, denn nach dem Beschluss der UN-Biodiversitätskonferenz muss jeder Staat bis 2030 mindestens 30 Prozent seiner Land- und Meeresfläche als Schutzgebiete ausweisen. Laut Rouven, der die Koordination des Projekts übernommen hat, ist Kroatien unter Zugzwang: „Bisher sind weniger als ein Prozent seiner Hoheitsgewässer unter Schutz gestellt, und die meisten Gebiete sind nur ,Paperparks‘, wo fast nichts reguliert und kontrolliert wird.“ Hier soll das neue Kvarner Schutzgebiet mit besserem Beispiel vorangehen: „Zerstörerische Nutzungen wie Industriefischerei müssen überall verboten sein, und in zwei von uns vorgeschlagenen Kernzonen à 25 und 71 Quadratkilometer soll gar nicht gefischt werden“, so Rouven. Eine dieser streng geschützten „No-take-zones“ wäre im Krusija-Kanal zwischen Plavnik und Cres, wo sich auch die beschriebene artenreiche Schlucht befindet. Das Herausragende dieser Meerenge aber ist ihre Rekordtiefe von bis zu 125 Metern, was sie als Lebensraum besonders wertvoll macht. Die Adria ist sonst nämlich relativ flach, im Schnitt 40 Meter.
Tieftauchen und Umwelt-DNA fischen
Eine gründliche Meeresinventur ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Projekt: Mit Unterstützung der Umweltstiftung arbeitet MareMundi jetzt daran, detaillierte Daten über die Habitate und Artenvorkommen in den zu schützenden Regionen zusammenzutragen. Diese sollen dann den kroatischen Behörden zugearbeitet werden, um das neue Schutzgebiet ausweisen zu können. Beispiel Krusija-Kanal: Unter dem Motto „GoDeep“ hat MareMundi bereits 2023 begonnen, der tiefsten Stelle der Adria wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Der Aufwand ist enorm: Neben Unterwasserdrohnen kommen speziell ausgerüstete und ausgebildete „Tec-Diver“ zum Einsatz, die mehr als 100 Meter tief hinabtauchen können. Sie haben inzwischen Transekte ausgelegt, entlang denen geforscht werden soll, haben erste biologische Proben gesammelt und „Besiedlungsstrukturen“ versenkt: Konstrukte aus Röhren, Kästen und Gittern, die an Insektenhotels erinnern. Das Team ist gespannt, wer sich dort häuslich einrichten wird – Schwämme, Seesterne, kleine Fische oder auch Oktopusse? In einem ersten Projektbericht äußerte Robert Hofrichter allerdings die Vermutung, dass die größte Vielfalt wohl in Form mikroskopischer kleiner Organismen im Sandlückenraum, also im Sediment, zu finden sein wird.
Das MareMundi-Team kann aber auch mit großen charismatischen „Testimonials“ für sein Vorhaben werben – etwa mit dem Riesenhai, der jedes Frühjahr zur Planktonblüte in die Bucht kommt: Er hat zwar eine furchtbar große Klappe, ernährt sich aber nur von Ruderfußkrebsen und anderen Winzlingen. Auch ein geheimnisvoller Stumpfnasen-Sechskiemerhai, eigentlich ein Tiefseebewohner, wurde bereits im Krusija-Kanal gesichtet. Um mehr über ihn und mögliche andere seltene Besucher herauszufinden, die schwer auffindbar sind, setzen die Forschenden auf die Methode des eDNA-Monitorings: Dazu werden Wasserproben genommen und im Labor auf genetische Spuren hin analysiert. Die aus der Umwelt gefischte DNA kann zum Beispiel aus Körperflüssigkeiten oder Hautzellen bestehen.
Bevölkerung mit ins Boot holen
Um ein Schutzgebiet zu etablieren, braucht es eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung, deshalb ist Öffentlichkeitsarbeit die zweite Säule des Projekts. Viele örtliche Akteur:innen sollen in den Projektprozess eingebunden werden, zudem plant MareMundi eine Fotoausstellung mit Präsentation erster Forschungsergebnisse in Krk und will verschiedene Interessengruppen wie Touristik und Fischerei individuell ansprechen und informieren. Das Team rechnet mit Vorbehalten gegen die Schutzpläne, etwa seitens der lokalen Fischer:innen, hat aber überzeugende Argumente parat: „Bis auf die Kernzonen soll handwerklicher Fischfang unter Auflagen ja weiterhin erlaubt sein“, sagt Rouven. Und: „Ein gesundes Ökosystem zahlt sich für die Fischer:innen langfristig aus, denn sobald sich die Fischbestände regenerieren, wird auch weit über das Schutzgebiet hinaus wieder mehr in ihren Netzen landen. Das zeigen viele Beispiele und Studien aus aller Welt!“ Die Tourismusbranche könnte ebenfalls profitieren – mit nachhaltigen Konzepten, die den sagenhaften Naturreichtum der Kvarner Bucht in den Mittelpunkt rücken.